Stefan Beck: Texte von 1993 - 1998

Leichte Schläge auf den Hinterkopf

Zuerst erschienen in der Zeitung der "Neuen Linken", Feb. 96
(see also english summary)


Am Sonntag, den 15.10.1995 gegen vier Uhr morgens betrat eine Polizeistaffel den Hinterhof der Mainzer Landstr. 125 in Frankfurt am Main und beendete ein dort im Rahmen der Frankfurter Buchmesse stattfindendes Verlagsfest des Martin Schmitz Verlages aus Kassel. Nach Angaben der Beteiligeten ließen sich die Polizisten auf keine Diskussion ein, sondern griffen gleich zum Knüppel und prügelten die letzten vierzig Anwesenden aus der Lokalität. Dabei wurden ungefähr fünfzehn Personen schwer verletzt. Es wurden Platzwunden, Nasenbeinbrüche und Nieren-prellungen gezählt. Einer der Mitveranstalter, Hans Romanov, wurde über mehrere Stühle geschleudert und erhielt einen Knüppelschlag auf den Hinterkopf. Nach seinen Angaben droht ihm Strafanzeige wegen “Widerstand gegen die Staatsgewalt”, “versuchter Landfriedensbruch” und “versuchte Gefangenenbefreiung”.

Man stelle sich vor selbiges wäre bei der Alten Oper passiert. Eine Hundertschaft Polizei prügelte die Besucher einer Opernveranstaltung aus dem Saal. Unmöglich? Wohl möglich, daß der Aufschrei riesengroß wäre, parteienübergreifend, ein Skandal von dem jeder sprechen und schreiben täte. Vielleicht käme es sogar zu einem Untersuchungsausschuß in der Stadtverordnetenversammlung.

Nichts dergleichen geschah in der Mainzer Landstr. Die Tageszeitungen druckten sogar erst den Polzeibericht ab, in dem die Partygäste als ”Randalierer” bezeichnet wurden. Nur die Frankfurter Rundschau gab dem Ansinnen der Betroffenen nach auch deren Darstellung des Polizeieinsatzes wiederzugeben. Alle anderen Tageszeitungen blieben bei der Darstellung der Polizei.

Nach einer Zeugin soll ein Polizist gesagt haben:”Wir kehren den Dreck von der Straße und der Dreck seid Ihr!”

Ich möchte hiervon als Skandal sprechen. Ein Ereignis, daß an einem bestimmten Ort (der Alten Oper z.B) mit Sicherheit die größte Aufmerksamkeit gefunden hätte, wird beinahe totgeschwiegen, ja als Alltäglichkeit beiseite geschoben, weil es keinen Kilometer weiter stattgefunden hat. Wer hierzu schweigt, billigt die herrschende Unterscheidung zwischen einer Hoch-Kultur (Oper,Theater, Museum) und einer niederen Kultur (Pop, Rock, Bars, Parties, Clubs etc), befestigt die Trennung zwischen einer Kultur des Erhabenen und Kontemplativen gegen eine Kultur des Vergnügens und Sinnengenusses. Wie aber der französische Soziologe Pierre Bourdieu festgestellt hat, ist Kultur nur als ein ungeteiltes Ganzes zu verstehen, in dem einzelne Ausprägungen und Stile in einem Schema von Macht und Unterdrückung gruppiert sind. Es gehört zum gängigen Schema ihres Machtdiskurses, daß die jeweils herrschende Kultur sich den Anschein des Feinsinnigen, Nachdenklichen, Stillen und Reservierten gibt, während die unterdrückte Fraktion als Laut, Aufdringlich, Plump oder Grob chiffriert wird.

Innnerhalb einer solchen Ordnung müßen auch solche Begriffe wie “Lärm” und “Ruhestörung”, die dem Polizeieinsatz eine Pseudolegitimation verliehen, betrachtet werden. Die Mainzer Landstraße gehört zu den am dichtesten befahrenen Verkehrswegen der Frankfurter Innenstadt. Wer hier wohnt, ist tagtäglich einem unerträglichen Geräuschpegel ausgesetzt. Zudem kommt hinzu, daß dieses Gebiet in der Stadtentwicklung als Achse zukünftiger Neubebauung mit Hochhäusern ausgewiesen ist. Mit ihrem Hochhaus “Westendstr. 1” ist die DG Bank am nächsten an den Bereich jenseits des Platz der Republik gerückt, wo die Häuser schon schrittweise entmietet und geräumt werden, um bei etwaigen Neubauten gleich bei der Stelle zu sein. Die meisten Häuser der Mainzer Landstraße gehören schon Banken. Auf einem Gelände etwas weiter stadtauswärts auf der Mainzer Landstraße soll die europäische Zentralbank entstehen. Wer hier wohnt, braucht also wenigstens in der Nacht seine Ruhe. Es ist daher nicht unverständlich, daß Anwohner gereizt auf nächtliche Musik in ihrem Hinterhof reagieren. Die Ruhe der Anwohner ist aber auch der Polizei und den Politikern derartig wichtig, daß offensichtlich auch ein brutaler Schlagstockeinsatz hingenommen werden kann. Nach Angaben von Hans Romanov gibt es in Frankfurt hinsichtlich der Lärmschwellen keinerlei besonders ausgewiesene Gebiete wie in anderen Städten, wo zwischen Kern-, gemischten, reinen Wohngebieten oder Vergnügungsvierteln unterschieden wird. Der Beschwerde von Anwohnern wird offensichtlich in jeglichem Umfang nachgegeben. Das wäre nun nicht weiter schlimm, wenn auch den Anwohnern ein Recht zustünde sich über den Straßenverkehr, der es ihnen unmöglich macht bei Tage die Fenster offen zu lassen, zu beschweren. Das gibt es aber nicht, keine Hundertschaft rückt heran und zerrt Autofahrer aus ihren Fahrzeugen.

In dieser Hinsicht ist die Stadt segmentiertes Gebiet, das sich Nachts anderen Gesetzen unterordnet als zu Tage. Ein Polizeieinsatz in der Mainzer Landstraße wird anders gewichtet wie in der Goethestraße.

Was heißt aber “Lärm” und “Ruhestörung”? Ein Frank Zappa kann in der Alten Oper soviel “Lärm” machen, wie er will, darf das enfant terrible spielen, während ein Hans Romanov in der Mainzer Landstraße bei jedem Mucks den er tut, befürchten muß von der Polizei verdroschen zu werden. Denn die Hausbewohner haben ja nicht das Audiometer neben dem Bett liegen, nach dem sie dann ablesen können, wann das Geräusch von draußen polizeireif ist. Ihrem subjektiven Empfinden ist anheim gegeben, was als “Lärm” und was nicht zu gelten hat.

Das mutet an diese pubertären Spiele an, als wir nicht verstehen konnten, warum Papa den Pavarotti bis zum Anschlag dröhnen lassen konnte, wir aber nicht die Dead Kennedys oder die Sex Pistols in gleichem Maße. Schließlich hat die Musikgeschichte immer wieder gezeigt, wie “Lärm”, “Dissonanz” und “Kakophonie” sachte in unseren Ohren heimisch und wohltönend wurden. Können wir heute überhaupt noch die Schroffheit eines Stravinsky oder eines Schönberg nachvollziehen? Das heißt nichts anderes als daß “Lärm” ein kulturelles Phänomen ist. Und dem ist nicht mit dem Polizeiknüppel beizukommen.

Überhaupt sehe ich keinen, keinen einzigen Grund eine kulturelle Veranstaltung, gleich welcher Art, überhaupt jegliche Veranstaltung, wo Menschen friedlich und aus freien Stücken zusammenkommen, mit einem Knüppeleinsatz zu beenden. Wer dies anders sieht, ist Barbar.

Daß dies aber nicht zufällig geschehen konnte, muß weiter anhand einer kurzen Erklärung der Frankfurter Kulturpolitik erläutert werden. In Frankfurt wurde in den letzten fünfzehn Jahren Kultur von oben herab verordnet. Kultur war politische Kultur insofern Kultur als Mittel der Stadtverschönerung, zur Imageverbesserung, instrumentalisiert wurde. Solange genug Geld da war, konnte man von anderswo Künstler einkaufen und der dürren Frankfurter Erde einsetzen. Statt Museen wurden Paläste hochgezogen, die in den Bausummen den um sie herumstehenden Bankenhochhäusern nacheifern wollten. Das dann doch nicht ausgeführte Völkerkundemuseum war noch mit 112 Millionen Mark (!) veranschlagt. Dieses Geld war niemals real vorhanden, es war schnöder Pump von gerissenen Geschäftemachern in Umlauf gebracht, die von den auf Staatsanleihen basierten amerikanischen Rüstungsaugaben, sich waghalsige Transaktionen erhofften. Die 80er Jahre haben damit die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht. Als diese Spiele irgendwann nicht mehr funktionierten, wurde dem “kleinen Mann “ erklärt, jetzt müsse gespart werden, Kultur wurde klammheimlich in die Ecke geschoben und zum Buhmann gestempelt. Der SPD-und-Grüne-Magistrat der Stadt Frankfurt hat die Schuldscheine der CDU Regierung geerbt und konnte sie nun nicht mehr einlösen. “Kultur für alle” war nur solange möglich, wie die Armen auch weiterhin die Schulden der Reichen bezahlen wollten. In dem rigorosen Sparkurs, den sich der SPD Magistrat auferlegt hat, ist für Kultur kein Platz mehr. Ratlos sitzen die Museumsdirektoren in ihren Tempeln und wissen nicht wovon sie ihre Wächter bezahlen sollen.

Eine mögliche Linie der Interpretation stelle ich mir so vor: Wenn im Kalkül der Konservativen immerhin noch Kultur als symbolische Form auftaucht, die die realen Kämpfe in der Gesellschaft, zugunsten der Konservativen natürlich, vorweg nehmen möge, können die Sozialdemokraten mit einer solchen Vorstellung von Kultur nichts anfangen: Was für Kämpfe? Wenn gekämpft werden muß, dann tragen wir den Kampf direkt aus. Der Sozialdemokrat verneint die Existenz einer symbolischen Form und behauptet die Suprematie der realen Form. In diesem Sinne ist auch nur logisch, daß in der Mainzer Landstraße geprügelt wurde. Kultur kann insofern auch nicht ”von unten” stattfinden, sie kann höchstens staatlich verordnet werden, sofern noch Geld für sie vorhanden ist.

Die Stadt Frankfurt demonstriert gerade das Ende einer vernünftigen Kulturpolitik, an sie schließt brutale Ordnungspolitik sich an. Das bedeutet nicht, es hätte in Frankfurt je schon “vernünftige” Kulturpolitik gegeben. Das Ereignis in der Mainzer Landstraße zeigt nur, daß hinsichtlich der Kultur nach unten keine Grenze mehr gesetzt wird. Es gibt eben auch die Kunst des Knüppelschwingens und Schädelaufschlagens. Schuld daran sind die Politiker, die diese Politik mitverantworteten, wie die früheren Oberbürgermeister Wallmann (CDU) und von Schoeler (SPD), und die, die jetzt im Amt sind: Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU),Kulturdezernentin Linda Reisch (SPD), Kämmerer und OB-Stellvertreter von März bis Juni 95 Tom Koenigs (Grüne).

PDF