Stefan Beck: Texte von 1993 - 1998

Selbstdarstellung

Am 16.3. 1994 fand im 707 Büro eine kleine Versammlung statt, auf der diskutiert wurde, wie die Attraktivität von The Thing (TT) erhöht werden könnte. Es kam zum Vorschlag, daß sich Teilnehmer des Thing am Anfang vorstellen sollten, um anderen eine Vorstellung zu geben, mit was sie sich beschäftigen.

Nachdem ich schon einige Zeit am Netz aktiv war, möchte ich diesen Vorschlag nun umsetzen. Vermutlich kennt mich die eine und der andere schon von der kontrovers diskutierten Werbung für die Gruppe >freundschaft<: »seien wir dessen eingedenk, daß ein grosser massenkampf naht…« Bei >freundschaft<; (eben jener >techno/industrial/avantgarde<-gruppe) bin ich für die Texte und die Sprache zuständig, wie ich mich sonst auch für alles zuständig fühle, was mit Wort und Schrift zu tun hat. »Texten« ist wohl die allgemeinste Bezeichnung meines Tuns, frei und im werblichen, im typo- und topografischen Sinne.

Daß ich über zwei Jahre am hiesigen Institut für neue Medien verbrachte, hängt damit zusammen, daß ich immer daran glaubte, daß mein Textschaffen eng mit der Entwicklung einer maschinellen Kunst verbunden sei. Ich bin immer noch der Meinung, daß die »ecriture automatique« der Surrealisten ihre angemessenste Weiterentwicklung in den sogenannten Neuen Medien finden wird. Das ist allerdings eher ein Wunsch, als Tatsache. Das Institut für neue Medien hat mich gründlich enttäuscht, Peter Weibel sowohl künstlerisch wie auch politisch. Diese sogenannte »interaktive« Richtung ist n. m. M. eine groteske Mißkonzeption, was man/frau eigentlich mit Computern machen könnte. Während meiner Institutszeit habe ich dem immer entgegen zu steuern versucht. Vergeblich. (Nur nebenbei: Marko Lehanka, den ich ja kürzlich erst wegen seines »Kunstgewerbes« kritisiert habe, ist es mit seinen damaligen Texten nicht besser gegangen. Die Texte hätten für das Institut wirklich eine Richtung sein können, aber sie wurden dort wegen »Silicon Graphics, Abekas, Wavefront, Betacam etc« und wie dieses High-Tech-Zeug noch so heißt, vollkommen unterdrückt.) Ich versuchte eine Analyse des dort eigesetzen UNIX-Operating-Systems, daß ich in »UNIXxxx« (xxx für unendliche Variationen) umtaufte und Kurse ankündigte, die sich mit der Problematik, wie mit einem Betriebssystem Kunst machen, beschäftigen sollten. Mein Gedanke war, es muß doch falsch sein, zu glauben, daß ein paar Hardware- und Softwarebestandteile, die eine Firma einfach dahinstellt, gleich zu »Kunst« befähigen. Deshalb wurde auch immer davon geredet, man müsse über die Geräte hinausgehen, die Grenzen ausloten, Neues schaffen… Und das sollte dann Kunst sein!? Mir kam es so vor, daß an den Computern nichts auszuloten, nichts herauszuschöpfen, oder zu überbieten ist. Sie sind eigentlich schon Kunst, ersonnen von kreativen Ingenieuren, die viel Geld und Zeit investiert haben, um so ein Werkzeug zu schaffen. Kunst ist demgegenüber kein Auftrag mehr, höchstens noch Design.

Was ich »UNIXxxx for beginners« genannt habe, war der Versuch, am Beispiel des Betriebssystems des Computers, was sicher nicht sehr kunstverdächtig ist, dieses Problem zu thematisieren. Peter Weibel soll einmal gesagt haben, die Studenten, die ans Institut kämen. die wollten immer »medienkritisch« sein, er aber bräuchte Fanatiker, die Tag und Nacht an den Maschinen hingen. Fanatiker, meint er, die am Besten in seinem Auftrag Installationen zusammenbasteln, die er unter seinem Namen dann verkaufen kann. Das habe ich mir nie unter einem Institut für neue Medien vorgestellt. Das Institut sollte der Ort einer kritischen Auseinandersetzung zum emanzipativen Mediengebrauch sein. Aber das war wohl zu idealistisch gedacht.

Ich habe 1991 zusammen mit meiner Wiener Kollegin Manuela Burghart das Unternehmen »the white visitation« (TWV) gegründet, quasi als Gegenpol zur institutionellen Inkompetenz. TWV ist Agentur, Büro und Archiv gleichermassen. Sein Thema ist »künstliche Intelligenz«(KI). Was das bedeuten mag, ist auch Gegenstand der Forschungstätigkeit von TWV. Wir operieren als KünstlerInnnen, das Thema hat erstmal nichts mit Kunst zu tun. Wie kann es zum Thema der Kunst werden? Es liegt natürlich nahe, den Medienbereich als Schnittstelle zu nehmen, aber das ist bloß akzidentiell. Weil es vielleicht in beiden Bereichen um Computer geht, müssen sie noch nicht viel miteinander gemein haben. KI ist mitlerweile eine von vielen Disziplinen der Informatik, sicher nicht die wichtigste. Das war nicht immer so. Kaum hatte die ersten Computer das Licht der Welt erblickt, als ihre Schöpfer gewahr wurden, daß sie keineswegs zum Behandeln grosser Zahlenmengen (»number crunchers«) geeignet schienen, sondern aufgrund ihrer allgemeinen Fähigkeit zur Symbolmanipulation, in Bereiche vorstossen könnten, die bislang dem Menschen als »mentales« oder »psychisches« vorbehalten waren. Sie sollten »denken« können. Die Frage, ob Maschinen denken könnten, fand aber Alan Turing schon 1950 »too meaningless«, um sie weiter zu erörtern, um anschließend sein berühmtes Imitationsspiel vorzuschlagen, in dem es um das Problem geht, ob wir umter gegebenen Umständen, einer Maschine Gedanken zuschreiben oder sie intelligent nennen würden. Die anfänglichen Erfolge in diesem Bereich hatten zum Ergebnis, daß Computer und die Frage nachder KI bis Anfang der 60er Jahre sysnonym waren, und erst langsam lernte man die rein kommerziellen Vorteile von Computern (in der Bureau-Automation z.B.) schätzen.

Der Begriff KI stammt aus dem Jahre 1956, als man sich klar wurde, daß der weitere Fortgang dieser Wissenschaft von der Entwicklung eigener Sprachen für diesen Zweig abhängig sein würde. Zu den sog. All Purpose Languages kamen spezielle KI-Sprachen (LISP, PROLOG) und weitere andere Spezial- Sprachen hinzu. Kunst, hat Holger van den Boom (1991) gesagt, sei heute genauso ein Teil der Forschung. Den Sinn dieses Diktums auszumachen, ist auch eine Aufgabe von TWV. An was forscht der Künstler heute, was bedeutet dabei >forschen<. Hinsichtlich dieser Untersuchung, ist es für uns wichtig, um die Probleme von KI zu wissen, denn es geht schließlich darum, einem Klumpen Materie, der absolut gar nichts weiß, ein Wissen zu geben, mit dem er sich in der Welt ein wenig zurecht finden kann.

Der Prozeß der Individuation des Künstlers ist immer rätselhaft, d.h. aber nicht, daß es keine rationalen Methoden geben kann, ihn aufzuhellen. Daß Kunst möglich ist, wissen wir; ob KI möglich ist, wissen wir nicht. Was Kunst und was KI ist, sind trotzdem verwandte Fragestellungen. Die konkrete Arbeit von TWV gründet sich in einem beständigen Austausch von Faxen, Mails, Disketten etc zwischen Wien und Frankfurt. Daraus entsteht ein grundlegendes Archiv, in dem alle möglichen Fragestellungen gespeichert sind, die unser Leben und unsere Arbeit ausmachen. Das Archiv kann sowohl zum Anlaß als auch zum Gegenstand außer ihm liegender Forschungen werden. Dazu gibt es dann eine Materialiensammlung, die jeder von uns getrennt anlegt, aber zum Korpus der gemeinsamen Arbeit gehört. Wir haben bislang in Videoinstallationen, Dia-Projektionen, Vorträgen und privaten Info-Veranstaltungen über unsere Sammel- und Forschungstätigkeit berichtet. The Thing, das ich vorerst allein in FFM anzapfe, gibt uns neue Möglichkeiten der Kommunikation.

Deshalb war mein erster Gedanke, als TT hier in Frankfurt eingerichtet wurde, das Projekt TWV ins Netz einzubringen. Konkret stelle ich mir einen Art Pool vor, Area heißt das hier, in den alle Informationen bezüglich »künstliche Intelligenz« abgelegt werden könnten. Das kann aus allen möglichen Bereichen kommen, auch Gen- und Biotechnologien gehören da hinein. Das Problem ist ja, das KI an sich schon ein Sammelthema geworden ist, in dem sehr viele Disziplinen mitmischen. Modisch ist es geworden, seine theoretische Abspaltung jetzt »Kognitionswissenschaft« zu nennen. Es gibt nicht DIE KI, sondern viele Gebiete. Deshalb ist es auch immens schwer, zu behaupten, man wolle KI abdecken, oder vertreten, oder sich damit beschäftigen. Ich stelle mir vor, daß innerhalb des Netzes mehr Leute dazu beitragen könnten, einen umfassenderen (aber nicht bloß im bibliografischen Sinne) Überblick über das Thema zu gewinnen. Vielleicht kommt ja so viel zusammen, daß sich ein eigener Bereich in TT lohnt.

Über KI werde ich nochmals ausführlicher auf dem frischmacherInnen-Symposium in Köln sprechen.

Einstweilen
Stefan Beck, Computerkünstler

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Herkunft: wahrscheinlich aus The Thing 1994